Sonntag, 24. April 2016

Verloren im Nebel

Und wieder einmal zog es uns in die Natur. Über das Osterwochenende packten wir unsere Rucksäcke mit Proviant für zwei Tage, Campingkocher, Schlafsäcke und Zelt. Dieses Mal ging es zuerst mit dem Bus Richtung Heiliges Tal der Inkas, genauer nach Sillacancha, wovon aus wir dann steil hoch nach Cancha Cancha wanderten, welches auf 4200 müM liegt, einem Art Hochplateau mit einigen Lamaweiden, kleinen Ställen und einer kleinen Landschule. Hungrig und etwas müde setzten wir uns in eine vom Wind geschützte Lamaweide, einem sogenannten "corral" und ruhten uns etwas aus, bis wir von weitem einen Bauern auf uns zukommen sahen. Señor Melchior lud uns mit grosser Herzlichkeit auf ein paar frisch gedämpfte Kartoffeln von seinem Acker ein und nach einem kleinen Schwatz über seine Familie, die Alpacas und seine Arbeit auf dem Feld machten wir "trueque" (Tauschhandel) mit Bananen und Avocados, welche wir im Rucksack mittrugen. Es ist für uns immer wieder faszinierend zu erleben, wie herzlich, offen und ohne Vorurteile die (meisten) Menschen vom Land sind.
Aufstieg nach Cancha Cancha dem Bach Huaran entlang

Pampa von Cancha Cancha

Unter dem Teufelsfelsen "Sakramachay"
Etwas weiter oben entschieden wir uns, das Lager für die Nacht aufzuschlagen, da wir schon ziemlich müde vom Aufstieg waren (unsere Ausdauer war auch schon besser...). Vorher war es jedoch wichtig, einen windgeschützten und trockenen Ort zu finden, den uns dann schon bald Fredy (10-jährig), unser neuer Freund zeigte. Fredy und seine Familie leben etwas weiter oben von Cancha Cancha mit ihren Alpacas und Pferden. Frühmorgens treiben sie die Alpacas mit Hilfe der Hunde nach oben in die Hänge, damit diese den ganzen Tag über weiden können bis sie vor Sonnenuntergang wieder nach unten kommen und in ihre «corrals» getrieben werden, um dort die Nacht zu verbringen.  Fredys Leben ist ein sehr einfaches. Mit seinem poncho und den «ochotas» (Gummi-Sandalen) schützt er sich vor den tiefen Temperaturen, welche nun poco a poco weiter nach unten sinken, da wir gegen Herbst-Winter zugehen. Oft denken wir «Westler», oh der Arme hat ja keine richtigen Schuhe weder Jacke… Immer wieder müssen wir unseren Blickwinkel wechseln, versuchen, ihre Lebensweise zu verstehen. Verstehen, dass die ochotas und der poncho aus Schafswolle Teil der Andenkultur sind, dass die Menschen sich bewusst für ein einfaches Leben in und mit der Natur entscheiden, dass sie mit Stolz die Quechua Sprache pflegen und weitergeben möchten. Diese Entscheidungen fällen heute nicht mehr viele Bauernfamilien. Cusco erlebt seit Jahrzehnten starke Migration - Landflucht würde man in Europa sagen. Dies bringt viele Herausforderungen für die Stadt mit. Die Menschen bauen in gefährlichen Zonen ihre einfachen bis waghalsigen Häuser, können sich nicht an die Normen des engen Zusammenlebens gewöhnen, können nicht mir der Welt des Konsums und der sogenannten «Modernität» umgehen.
Doch nun wieder zurück zu Fredy. Natürlich weiss unser Freund, wie man Geschäfte macht. Mit fleissiger Hand half er uns in seinem «corral» das Zelt aufzuschlagen und half uns beim Kochen. Natürlich wussten wir, dass Fredy auch etwas als Gegenleistung wollte und luden ihn auf ein bescheidenes Znacht und einige Kleinigkeiten ein. Nach einer sehr erholsamen Nacht, war die Tagwache nicht allzu schwer. Wasser am Fluss holen, Kakao und Hafer kochen, da kam auch schon Fredy wieder mit schnellen Schritten auf uns zu. «Buenos días amigos» rief er uns schon von weitem zu. Der vorbereitete Haferbrei kam ihm, glaube ich, gerade recht, um etwas wärme zu tanken. Schon bald verabschiedeten wir uns von Fredy und seinem Hund und drückten ihm noch 10 soles für die Platzmiete in die Hand. Kurz vorher, und das war eine weniger schöne Begegnung, kam eine junge Frau mit ihren Lamas hoch und wollte doch tatsächlich Platzmiete von uns verlangen, obwohl wir wussten, wem der «corral» gehörte. Freundlich aber mit Bestimmtheit liessen wir sie dann verstehen, dass dies bestimmt nicht so sei und wir mit dem verantwortlichen Bauern dies schon geklärt hätten. Schade, dachten wir, dass einige so vorurteilsvoll gegenüber Fremden sind und nur «money money» sehen…
Unser Freund Fredy

Blick vom "corral" aus ins Tal
Der anschliessende Aufstieg nagte ziemlich an den Muskeln und der Nebel wollte sich einfach nicht lichten. Doch die vielen tiefblauen bis grünen Lagunen, Wasserfälle und der nahe Apu (heilige Berg) Colquecruz zogen uns in ihren Bann.

Azulcocha und Suerococha

 Schon bald kam der verhängnisvolle Abstieg nach…? Plötzlich wussten wir vor lauter Nebel nicht mehr, was vorne und hinten war, der Weg schien sich in viele kleine caminitos aufzuteilen, wir konnten zwischen Kuh- und Wanderweg nicht mehr wirklich unterscheiden. 

Die Alpacas wissen bestimmt wohin der Weg führt...

Nasse Füsse...
Phuuu, wohin nur? Schlussendlich entschieden wir uns immer dem Wasser entlang - denn wie die Pfadiregel Nummer 56 sagt; Wasser führt immer nach unten - zu folgen. Gut und recht, aber ziemlich waghalsig haben wir uns mit unseren vollgepackten Rucksäcken nach unten auf eine riesige, offene Pampa gebracht. Wo sind wir denn jetzt gelandet? Auf das erste Haus zusteuernd, erspähten wir, frohlockend, schon von weitem einen kleinen Bauern mit seinen Schafen. «Maypi kachkani» - wo sind wir? Fragten wir ihn auf Quechua.

Maypi kachkani?
Zu unserem Erstaunen sind wir ins falsche Tal abgestiegen und waren nur einige Stunden von unserem Ziel Lares entfernt. Der liebe Señor Horacio erklärte uns, wie wir ganz nach unten kommen und lud uns kurz in sein Haus ein, um die von seiner Frau gewobenen Wollsachen zu begutachten. In den Anden ist es typisch, dass die Häuser ein einziges grosses Zimmer haben, wo das Alltagsleben stattfindet. Da ist die Küche, Wohnraum, Schlafzimmer und Stall für die Meerschweinchen in einem. Wir kauften Horazio einen wunderschönen Schal aus Schafswolle ab und verabschiedeten uns von ihm.
Horazio von Pampa Corral

Schal aus Schafswolle mit typischen Motiven
Mit nassen Füssen kam wir schliesslich zur Strasse, welche nach Lares führte und gingen ihr doch noch einige Kilometer entlang, da wir lange keine Mitfahrgelegenheit fanden. In Lares angekommen, gönnten wir uns natürlich ein Cusqueño Bier und dankten den Apus für ihren Schutz. Die Opfergabe mit Kokablätter und etwas Träsch vor jeder Wanderung war also nicht umsonst - Sulpayki.